Stand: 08.08.2023 14:07 Uhr
True Crime ist generationenübergreifend eines der erfolgreichsten Genres. Jahrzehntealte Fernsehsendungen wie Aktenzeichen XY oder modernen True-Crime-Podcasts wie Zeit Verbrechen sind Quotengaranten. Was fasziniert die Menschen so an Verbrechen? Ein Gespräch mit der Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen.
Der große Erfolg der Bücher von Ferdinand von Schirach basiert auch auf der Tatsache, dass viele Geschichten auf wahren Ereignissen basieren. Zahlreiche Magazine und Netflix-Serien haben echte Verbrechen zum Thema. Und der Hype um True-Crime-Podcasts reißt nicht ab. Gisela Friedrichsen ist eine von Deutschlands bekanntesten Gerichtsreporterinnen.
Frau Friedrichsen, wie erklären Sie sich diesen riesigen Erfolg des Genres? Sie berichten über teilweise auch grausame Verbrechen. Es sind Nachrichten, die man erst mal verdauen muss. Glauben Sie, dass wir so etwas so gerne hören, weil wir eine gewisse Lust an der Angst haben?
Gisela Friedrichsen ist seit Jahrzehnten als Gerichtsreporterin tätig. Sie berichtete unter anderem über das Verfahren gegen Erich Honecker (1992-1993) oder den NSU-Prozess (2013-2018).
Gisela Friedrichsen: Das haben die Menschen immer schon gehabt. Nichts interessiert die Menschen so sehr, wie das, was andere einander antun. Das sind auch Stellvertreter-Geschichten. Man hört andere tun ihren Mitmenschen schreckliche Dinge an und werden dafür bestraft. Da kommt die Welt dann wieder in Ordnung, die durch das Verbrechen, durch die Tat in Unordnung gebracht worden ist. Es ist ein gewisses Bedürfnis, dass man sieht: Das Böse passiert zwar, aber es erfolgt auch eine Reaktion darauf.
Können solche Formate auch zur Aufklärung von Fällen beitragen? Oder haben sie einzig Unterhaltungswert?
Friedrichsen: Sie können zumindest Vorurteile beseitigen. Mancher Fall sieht auf den ersten Blick so eindeutig aus: Schwarz ist Schwarz und Weiß ist Weiß. Wenn man sich genauer damit beschäftigt, dann sieht man, dass das viele Facetten hat. Dann versteht man, warum sich die Justiz manchmal so schwer tut und so lange über Fälle verhandelt. Dass es zur Aufklärung beiträgt, glaube ich nicht. Die Aufklärung von Fällen, das ist Sache der Polizei. Nicht der Journalisten, der Rechtsanwälte oder Menschen, die Podcasts machen und über ihre Fälle sprechen.
Sie selbst rekonstruieren spektakuläre Fälle live auf der Bühne. Zum Beispiel am 24. September in Lüneburg. Da geht es um die Göhrde-Morde. Was reizt Sie an so einer Inszenierung?
Friedrichsen: Das ist ganz reizvoll. Man kann den Fall erzählen, man steht an der Seite eines Rechtsmediziners, der seine Sicht, seine Erkenntnisse beiträgt. Manchmal ist es auch so, dass aus dem Publikum Fragen kommen, die sehr sinnvoll sind und zum Nachdenken anregen. Den Austausch mit dem Publikum finde ich sehr, sehr spannend.
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Sie haben über spektakuläre Prozesse berichtet, wie den NSU-Prozess oder das Verfahren gegen Erich Honnecker - aber auch über viele kleinere Fälle. Gibt es einen Fall, der Sie nie losgelassen hat?
Friedrichsen: Es gibt einen Fall, der mich zehn Jahre meines Lebens begleitet hat. Das war der Fall der Monika Weimar, die ihre beiden Kinder getötet hat. Wenn Kinder die Opfer waren, sind mir die Fälle in der Regel sehr nahe gegangen. Das waren immer die Wehrlosesten, die darunter zu leiden hatten, dass die Erwachsenen mit ihrem Leben nicht zurande gekommen sind - und die konnten gar nichts dafür. Das waren dann die, die auf der Strecke geblieben sind. Nahe gegangen sind mir auch Fälle, die zu Wiederaufnahmen geführt haben. Wenn man gesehen hat, dass da ein Mensch unschuldig verurteilt wurde. Mit welchen Vorurteilen manchmal Gerichte, Gutachter und Ermittler an einen Fall herangehen. Da sitzt ein Mensch Jahre oder Jahrzehnte im Gefängnis - und nachher stellt sich heraus, es war alles falsch. Es war jemand anderes, es ist ganz anders abgelaufen. Da denke ich mir: Die Justiz weiß manchmal gar nicht, was sie anrichtet.
Um echte Verbrechen geht es auch im NDR Kultur-Podcast Kunstverbrechen: Juwelenraub, geschmuggelte NS-Kunst, Fälscherskandale, verschollene Gemälde: Lenore Lötsch und Torben Steenbuck rollen spektakuläre Kunstdiebstähle auf. Sie nehmen uns mit an Tatorte, treffen Zeugen und Experten. Die Hosts arbeiten dabei mit der Polizei zusammen: Deutschlands bekanntester Kunst-Kommissar René Allonge vom LKA Berlin ist in jeder Folge dabei.
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Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur |Journal |08.08.2023 | 16:00 Uhr
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